Warum Engagement fürs Lesen so wichtig ist

Heute durfte ich bei den 13. Lübecker Jugendbuchtagen im Kinderliteraturhaus Lübek aus "Boy in a White Room" lesen. Das war mir ein besonderes Vergnügen und eine Ehre, denn ich bin tief beeindruckt von den Erwachsenen und vor allem den Jugendlichen, die sich bei den Lübecker "Bücherpiraten" mit enormem persönlichen Zeiteinsatz für die Leseförderung engagieren.

 

Aber ist dieser Einsatz fürs Lesen eigentlich noch zeitgemäß? "Wer lesen kann, ist klar im Vorteil", heißt ein beliebter Spruch. Aber gilt das auch in Zukunft noch? Die Frage ist weniger leicht zu beantworten, als es auf den ersten Blick scheint.

 

Schon jetzt können wir mit Maschinen sprechen, und sie verstehen uns jeden Tag etwas besser. Dabei sind "Alexa", "Google Assistant" und "Siri" buchstäblich noch im Krabbelalter. Es ist nur eine Frage von ein paar Jahren, bis sie uns besser verstehen und unsere Fragen schneller und präziser beantworten können als jeder Mensch. Vielleicht werden wir dann mit Brillen herumlaufen, die uns die Texte, die wir ansehen, automatisch vorlesen. Mit anderen Worten: Wir müssen dann nicht mehr selbst lesen können, um uns in der Welt zurechtzufinden.

 

Das ist zunächst einmal eine gute Nachricht für Analphabeten und Sehbehinderte - ihnen wird das Leben zukünftig leichter gemacht. Doch es bedeutet auch, dass uns womöglich schleichend eine Kulturtechnik abhanden kommt, die wir uns sehr mühsam angeeignet haben und die erst seit etwa zweihundert Jahren breite Bevölkerungsschichten erreicht hat. Lesenlernen erfordert viel Zeit und Energie. Nicht jedes Kind erreicht dabei die Mühelosigkeit, die man braucht, um am Lesen von Büchern Spaß zu haben. Und viele von denen, die im Schulalter gut lesen konnten, verlernen es irgendwann wieder, weil sie nicht regelmäßig lesen. Nicht, dass sie dann gar nicht mehr lesen könnten, aber längere Texte zu lesen und zu verstehen ist für Menschen, die das nicht regelmäßig tun, mühsam. Und was mühsam ist, macht keinen Spaß und wird tunlichst vermieden. Vielleicht ist es so zu erklären, dass laut Analyse des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in den letzten Jahren über sechs Millionen Menschen in Deutschland als Buchkäufer verloren gegangen sind, während gleichzeitig Hörbücher boomen.

 

Aber ist das wirklich so schlimm? Könnten wir in Zukunft nicht auch prima ohne das Lesen auskommen, wenn uns Maschinen alle Texte in gesprochene Worte übersetzen und uns alle Fragen direkt beantworten? Immerhin kennt ja heute auch kaum jemand mehr das Morsealphabet - die Zeiten, in denen man es brauchte, um effizient Texte über lange Strecken zu übertragen, sind längst vorbei. Und auch Stadtpläne liest heute keiner mehr, dafür hat man ein Navi, das einem sagt, wann man links abbiegen muss. Ist Leseförderung also überflüssig?

 

Ich glaube nicht. Im Gegenteil: Ich hielte es für fatal, wenn wir wieder ins Mittelalter zurückkehrten, in eine Zeit, in der nur eine kleine Bildungselite lesen und schreiben konnte. Denn geschriebene Texte und insbesondere Bücher sind die einzige nachhaltige Form der Informationsspeicherung, die ohne ein technisches Gerät als "Signalwandler" auskommt (eine aufgezeichnete Sprachdatei kann man z.B. nur mit Hilfe eines Abspielgerätes anhören, das die gespeicherten elektrischen Impulse in Töne übersetzt). Und das bedeutet, sie sind viel weniger leicht zu verändern, zu filtern und zu individualisieren, und deshalb robuster gegen Meinungsmanipulation und Meinungsunterdrückung.

 

Es hat einen Grund, warum totalitäre Regimes immer wieder Bücher verbieten oder verbrennen: Man kann sie nicht einfach "abschalten", und das Bücherlesen ist auch viel weniger leicht zu überwachen als etwa die Nutzung von Informationsmedien im Internet. Deshalb mögen Diktatoren (und Möchtegern-Autokraten wie Donald Trump) Bücher nicht, jedenfalls nicht diejenigen, die abweichende Meinungen enthalten. Und genau deshalb ist die Fähigkeit, selber zu lesen anstatt sich alles nur vorlesen oder vorerzählen zu lassen, essenziell für unsere Demokratie, unsere Freiheit und unsere Zukunft als Menschen.

 

Gerade, weil es in Zukunft immer leichter wird, auf das Lesen zu verzichten, ist es umso wichtiger, den Spaß daran zu fördern. Wer nicht mehr lesen können muss, wird diese Fähigkeit nur erlernen und behalten, wenn er es freiwillig und gerne tut. Es hat dabei wenig Sinn, auf die digitalen Medien zu schimpfen (wie es die aktuelle Werbekampagne der Buchhandelskette Thalia tut). Stattdessen müssen wir möglichst vielen Kindern und Jugendlichen zeigen, dass Lesen unheimlich viel Spaß machen kann und eine perfekte Ergänzung zu digitalen Unterhaltungsformen wie Videos oder Computerspielen ist. Genau das tun die Bücherpiraten von Lübeck, und dafür bin ich ihnen sehr dankbar!

 

Foto (c) Bücherpiraten e.V.

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Kommentare: 3
  • #1

    Anna (Freitag, 08 Februar 2019 12:46)

    Ich persönlich fühle mich geehrt, dass es menschen gibt, die das so anerkennen. Und danke Ihnen im Gegenzug, dass Sie uns geholfen haben, indem Sie bei uns gelesen haben. :)

  • #2

    Hangzhi (Freitag, 08 Februar 2019 15:16)

    Danke für den Blogeintrag (und für das Interview, das Sie uns gegeben haben :-) )!

  • #3

    Karl Olsberg (Freitag, 08 Februar 2019 15:48)

    @Anna und Hangzhi: Sehr gerne!