Amazon gießt Öl ins Feuer

Ich habe bereits über das meiner Ansicht nach unangemessene Verhalten von Amazon gegenüber Verlagen geschrieben, das auch in den Medien viel diskutiert wurde. Ausgangspunkt war Amazons Taktik, Bücher von Autoren des amerikanischen Hachette-Verlags und der europäischen Bonnier-Gruppe (zu der auch der Berlin Verlag gehört, in dem mein letzter Roman Delete erschien) verzögert auszuliefern und (in den USA) teurer zu verkaufen als vergleichbare Titel anderer Verlage. Damit will Amazon in den aktuellen Konditionenverhandlungen Druck auf die Verlage aufbauen.

 

Dies hat nicht nur bei mir Empörung verursacht, weil Amazon hier meines Erachtens seine Marktmacht und vor allem das Vertrauen der Autoren und Leser missbraucht. Der amerikanische Bestsellerautor Douglas Preston hat daraufhin einen offenen Brief an Jeff Bezos verfasst, den über 900 Autoren unterschrieben haben, darunter Größen wie Stephen King, Paul Auster, John Grisham, James Patterson und Suzanne Collins. Auch ich habe den Brief unterzeichnet. In Kürze erscheint in der New York Times eine ganzseitige Anzeige mit dem Brief und den Namen der Unterzeichner. Die Initiative ist allein auf die Autoren zurückgegangen und wurde von Hachette oder Bonnier weder initiiert noch finanziell unterstützt. Einige Autoren haben das Geld für die Anzeige gespendet. Der Brief und die Unterschriftenliste sind auf www.authorsunited.net einsehbar.

 

Ziel der Aktion war es, Amazon zur Mäßigung aufzurufen. Doch der Onlinegigant tut genau das Gegenteil. Nach dem Motto „Das Imperium schlägt zurück“ ließ Jeff Bezos die Seite www.readersunited.com erstellen, auf der ein Gegenbrief veröffentlicht wurde. Dieser Brief ging mir heute Morgen per E-Mail zu, nicht weil ich zu den Unterzeichnern der obigen Initiative gehöre, sondern weil ich das Amazon-Selfpublishing-Programm Kindle Direct Publishing nutze.

 

Obwohl die Seite der von Douglas Preston initiierten auf den ersten Blick ähnelt, wurde sie eben nicht von einer unabhängigen Leserinitiative geschaffen, sondern von Amazon selbst. In dem offenen Brief geriert sich der Onlinehändler als Kämpfer für niedrige E-Book-Preise im Dienst der Leser. Er zieht einen Vergleich zwischen früheren Widerständen des „literarischen Establishments“ gegen die Einführung des Taschenbuchs und zitiert George Orwell, der in den Fünfzigerjahren gefordert hatte, hohe Preise für Taschenbücher zum Schutz der gebundenen Bücher durchzusetzen. Wörtlich heißt es: „We want lower e-book prices. Hachette does not.” und „We will never give up our fight for reasonable e-book prices.”

 

Uns Autoren, die wir das bisherige Verhalten kritisieren, wird implizit unterstellt, die Einführung von E-Books behindern zu wollen: „Fast forward to today, and it's the e-book's turn to be opposed by the literary establishment.“ Da der Brief ganz offensichtlich eine Gegenreaktion auf Douglas Prestons Initiative ist, kann kein Zweifel bestehen, wer mit „literary establishment“ gemeint ist – die Unterzeichner des Briefes nämlich, also unter anderem ich.

 

Wenn es einen Preis für das dümmste Verhalten eines Unternehmens in der Öffentlichkeit gäbe, Amazon hätte ihn verdient. Statt sich als in vielen Bereichen marktbeherrschendes Unternehmen zurückhaltend zu gebärden und die Sorgen und Bedenken der vielen Autoren zumindest pro forma ernst zu nehmen, gießt man Öl ins Feuer. Amazon versucht eindeutig, einen Keil zwischen Leser und Autoren zu treiben, die es wagen, den Giganten zu kritisieren. Damit beweist das Unternehmen ein weiteres Mal, dass es nicht in der Lage ist, mit seiner Marktmacht verantwortungsvoll umzugehen.

 

Noch dazu sind Amazons Argumente sachlich falsch und nur allzu leicht durchschaubar:

  • Die Unterzeichner der Initiative von Douglas Preston sind NICHT gegen E-Books – im Gegenteil! Wir treten auch nicht für höhere E-Book-Preise ein (wie durch den Vergleich mit George Orwell nahegelegt wird).
  • In dem Streit zwischen Amazon und Hachette/Bonnier geht es NICHT primär um E-Book-Preise, sondern um den ANTEIL, den Amazon an den Endverbraucherpreisen bekommt: Amazon will schlicht und einfach höhere prozentuale Rabatte. Dies ist ein reiner Verteilungskampf.
  • Tatsächlich profitiert Amazon von höheren E-Book-Preisen der Verlage gleich doppelt: Zum einen durch höhere Margen, zum anderen dadurch, dass das eigene Selfpublishing-Programm so für die Leser attraktiver ist. Das Argument, im Interesse der Leser für niedrigere Preise zu kämpfen, ist an Scheinheiligkeit kaum zu überbieten, zumal Amazon in den USA die Preise vieler Hachette-E-Books erhöht hat, um deren Verkauf künstlich zu bremsen.

Offensichtlich strebt Amazon ein Quasi-Monopol zumindest bei E-Books an. Durch die gewählte Taktik einer brutalen Reduktion der Margen für Verlage (und damit auch für deren Autoren) versucht man, das Veröffentlichen von E-Books in Verlagen für Autoren so unattraktiv wie möglich zu machen, um diese  ins wesentlich günstigere Kindle Direct Publishing-Programm zu locken.

 

Sollte diese Taktik Erfolg haben, wäre dies auf lange Sicht schlecht für Autoren und Leser. Denn noch nie in der Geschichte haben Monopole dazu geführt, dass langfristig die Preise fallen – im Gegenteil. Monopole sind schlecht für die Meinungsvielfalt, für Kreativität, Innovation und Qualität. Deshalb sind sie in den meisten Ländern zurecht verboten. Allerdings begünstigt das Internet die Bildung von internationalen Monopolen, die juristisch kaum verhindert werden können. Umso wichtiger ist es, dem so gut es geht vorzubeugen.

 

Jeder Händler hat das Recht, für bessere Einkaufskonditionen zu kämpfen. Doch dies auf dem Rücken von Autoren und Lesern zu tun, ist zumindest fragwürdig. Wenn sich Amazon dann auch noch in der Öffentlichkeit als Kämpfer für niedrige Preise aufführt und gleichzeitig versucht, Autoren, die sich gegen die Methoden des Unternehmens aussprechen, zu verunglimpfen, finde ich das unerträglich. Ich bitte hiermit das Amazon-Management, mit diesem Unsinn aufzuhören, Autoren und Verlage wieder wie Partner und nicht wie Feinde zu behandeln und die Bedenken vieler Autoren endlich ernst zu nehmen.

 

Noch einmal in aller Deutlichkeit: Auch wenn ich Amazons Methoden und das ungeschickte Agieren in der Öffentlichkeit kritisiere, sehe ich mich nicht als Amazon-Gegner und werde auch weiterhin das KDP-Programm und die Amazon-Tochter Createspace für Veröffentlichungen nutzen. Aber mein Vertrauen in die Firma aus Seattle sinkt immer weiter, und ich bemühe mich zurzeit aktiv um Alternativen, wobei es auch darum geht, den traditionellen Buchhandel stärker am Selfpublishing teilhaben zu lassen. Mehr dazu in einem späteren Beitrag.

 

Nachtrag: Die Anzeige ist am heutigen Sonntag in der New York Times erschienen. In einem auch online veröffentlichten Artikel weist die NYT sehr pointiert darauf hin, dass Amazon George Orwell falsch zitiert habe. Dieser hatte sich offenbar nicht gegen Taschenbücher ausgesprochen, sondern eher ironisch angemerkt, dass Verlage die Bücher eigentlich bekämpfen müssten, weil sie so günstig (im positiven Sinn) sind. Peinlich für Amazon!

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Holger Ehrlich (Montag, 11 August 2014 11:22)

    Wo ist das Problem? Sucht Euch das nächste Bezirksgericht mit bibliophilen Richtern und verklagt den Laden wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung. Gerade in den USA sollte es doch kein Problem sein, eine Sammelklage der betroffenen Autoren zu organisieren.

  • #2

    karl-olsberg (Montag, 11 August 2014 12:28)

    @Holger Ehrlich: Das Problem ist meines Erachtens keines, das man juristisch lösen kann. Hier geht es um den verantwortungsvollen Umgang eines Unternehmens mit seiner Marktmacht und um die respektvolle und faire Behandlung von Partnern (Autoren, Lieferanten). Das kann man nicht vor Gericht erzwingen.