Erreichen Computer 2030 die Leistungsfähigkeit unseres Gehirns?

Die Leistung von Computern (gemessen in Rechenleistung pro Dollar Investition) verdoppelt sich ungefähr alle ein bis zwei Jahre. Diese Erkenntnis formulierte der Intel-Gründer Gordon Moore in den Sechzigerjahren. Aber tatsächlich gilt sie erstaunlicherweise schon viel länger: Schon seit Konrad Zuse den ersten voll programmierbaren Computer baute und Alan Turing seinen berühmten Aufsatz „Computing Machinery and Intelligence“ schrieb, kann man eine exponentielle Zunahme der Rechenleistung beobachten. Ein schönes Beispiel dafür ist die Rechenleistung des jeweils schnellsten Computers seiner Zeit, gemessen in Rechenoperationen pro Sekunde (siehe Grafik), die auf Wikipedia dokumentiert ist. Die Grafik sieht "harmlos" aus, weil sie einem linearen Trend zu folgen scheint, doch jeder etwas dickere Strich bedeutet eine Vertausendfachung der Rechenleistung!

 

Was diese exponentielle Steigerung in der Praxis bedeutet, lässt sich an einem einfachen Beispiel verdeutlichen: Die Anzahl an Rechenoperationen pro Sekunde, die der schnellste Computer der Welt im Jahr 1996 durchführen konnte, entspricht etwa der Leistung des Grafikchips in einem iPhone 6s. In etwa fünfzehn Jahren wird die Power des heute schnellsten Rechners Tianhe-II, 33 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde, millionenfach in Smartphonegröße zur Verfügung stehen (ob wir dann noch Smartphones haben oder etwas ganz anderes, sei dahingestellt). Vorausgesetzt natürlich, das Moore’sche Gesetz gilt auch weiterhin.

 

Manche bezweifeln das. Immerhin lässt sich die Anzahl der Schaltelemente in einem Mikroprozessor nicht beliebig steigern, schon jetzt sind einige Leiterbahnen nur noch wenige Atome breit. Doch solche scheinbar unüberwindlichen Barrieren gab es in der Geschichte des Computers schon häufiger. Zuses Computer arbeiteten mit langsamen elektromagnetischen Schaltern, die später durch Röhren ersetzt wurden. Den Röhren folgten Transistoren, dann integrierte Schaltkreise, Mikroprozessoren und schließlich die heute üblichen Parallelprozessoren, die jeweils einen neuen Leistungsschub brachten. Die Forscher werkeln bereits an ganz neuen Technologien, die eine weitere deutliche Leistungssteigerung ermöglichen sollen, wie Lichtleitern oder gar Quantencomputern.

 

Ohne auf diese Techniken im Einzelnen einzugehen, kann man eines mit Sicherheit sagen: Es muss möglich sein, einen Computer zu konstruieren, der so leistungsfähig ist wie das menschliche Gehirn. Denn es gibt ihn ja bereits. Unser Gehirn ist nichts anderes als ein biologischer Computer, der noch dazu mit vergleichsweise langsamen Nervenzellen arbeitet. Es gibt keinen prinzipiellen Grund, dass man die Funktionsweise dieser Nervenzellen nicht in einem Computer simulieren und damit ein „virtuelles Gehirn“ nachbilden kann. Dieses könnte, genügend Rechenpower vorausgesetzt, deutlich schneller „denken“ als ein Mensch.

 

Ein menschliches Gehirn besteht aus einigen hundert Milliarden Neuronen. Diese zu simulieren, übersteigt noch immer die Fähigkeiten der schnellsten Computer, die wir haben. Doch einige Millionen Neuronen schaffen wir bereits und erreichen damit die Leistungsfähigkeit eines Reptiliengehirns. Wenn das Moore’sche Gesetz auch in Zukunft gilt, werden Hochleistungscomputer in 15 Jahren gut tausendmal so schnell sein wie heute. Damit wäre dann die Simulation von Strukturen möglich, die annähernd so komplex sind wie das menschliche Gehirn.

 

Allerdings ist die Frage, ob es überhaupt nötig ist, das menschliche Gehirn nachzubilden, um dessen Leistungsfähigkeit zu erreichen und so genannte „starke KI“ zu entwickeln, also die Fähigkeit einer Maschine, in beliebigen Themengebieten selbstständig Schlussfolgerungen zu ziehen, zu lernen und letztlich  die Fähigkeit zur Selbstreflexion zu erlangen. Ich halte das für sehr zweifelhaft; bereits jetzt ist erkennbar, dass Maschinen, wenn sie einmal gelernt haben, eine bestimmte Aufgabe zu lösen, dies so gut wie nie auf dieselbe Weise tun, wie es ein Mensch tun würde. Autos haben schließlich keine längeren Beine, und Schachcomputer können besser Schachspielen als Menschen, benutzen aber andere Strategien dafür. Auf diese Unterschiede werde ich in einem späteren Beitrag eingehen.

 

Stimmt es also? Werden Computer in nur fünfzehn Jahren so leistungsfähig sein wie ein menschliches Gehirn? Ich freue mich über Kommentare!

 

Grafik: Supercomputer von Geek1337 - self-made. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 überWikipedia.

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Kommentare: 5
  • #1

    Karl Olsberg (Mittwoch, 09 Dezember 2015 12:05)

    Auf Facebook hat sich hierzu eine interessante Diskussion entwickelt: https://www.facebook.com/karl.olsberg/posts/10201092892080869

  • #2

    Michael Scharrer (Sonntag, 17 Januar 2016 13:16)

    So wie ich die Thematik verstehe, hängt es nicht nur an der Rechenleistung, die in 15 Jahren durchaus erreicht werden kann, sondern auch daran, dass die präzise Funktionsweise der Nervenzellen noch nicht ganz erforscht ist. Das kann noch etwas länger dauern.

    Deinem Fazit stimme ich allerdings vollkommen zu. Auch ohne simulierte Gehirne werden immer bessere KI Systeme auf den Markt kommen.

  • #3

    Karl Olsberg (Sonntag, 17 Januar 2016 16:39)

    @Michael Scharrer: Das stimmt natürlich, Rechenleistung allein reicht nicht. Aber die präzise Funktionsweise von Nervenzellen müssen wir m.E. auch nicht verstehen, um intelligente Maschinen zu bauen, denn es gibt mit Sicherheit nicht nur diese eine Art von Intelligenz, die in unserem Gehirn verdrahtet ist. Ich bin sogar ziemlich sicher, dass die Computer der Zukunft auf ganz andere Weise "denken" werden wie wir (dazu mehr in einem späteren Blogbeitrag). Flugzeuge schlagen ja auch nicht mit den Flügeln.

  • #4

    bformless (Mittwoch, 05 Oktober 2016 20:36)

    Wenn wir von Künstlicher Intelligenz reden, dann sprechen wir in Wirklichkeit von Hochleistungs-Steuerungs- und Regeleinheiten unter Nutzung von mathematischen Formeln, Tabellen bzw. Datenbanken und vorgegebenen programmierten Strukturen, die sich in Ihrem Wesen nicht ändern, d.h. statisch sind und sich nur die Variablen selbst ändern. Nichts anderes ist KI zur Zeit, eine Verlängerung des menschlichen Gehirns. Sobald aber die Simulation eines menschlichen Gehirns realisiert werden würde und diese Simulation fähig wäre selbständig zu lernen, d.h. sein Programm selbst, ohne äußeres Zutun, ändern könne, zusätzlich vielleicht noch Selbstreflexion entwickelt (Bewusstsein), dann erst können wir von echter KI ausgehen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg, der exponentionell kürzer zu werden scheint...

  • #5

    Karl Olsberg (Donnerstag, 06 Oktober 2016 08:16)

    @bformless: Ihre Meinung ist weit verbreitet und wird auch immer wieder von "Experten" geäußert, aber sie ist falsch. Computer werden schon lange nicht mehr nur von "vorgegebenen programmierten Strukturen" gesteuert. Natürlich steckt hinter jeder künstlichen Intelligenz ein "Programm", aber moderne Systeme, die nach dem "Deep Learning"-Verfahren arbeiten, haben nur relativ simple vordefinierte Strukturen, vergleichbar dem Neuronengeflecht im menschlichen Gehirn. Ihre Intelligenz beziehen sie nicht aus "Formel, Tabellen oder Datenbanken", sondern aus Mustern, die sie selbstständig aus allen Informationen, die sie erhalten, extrahieren, und sie sind alles andere als statisch. Ein Beispiel ist "AlphaGo", das Programm, das im März den weltbesten Spieler in Go besiegte. Niemand hat dieser Maschine Go beigebracht - sie hat sich die Regeln und grundlegenden Spielzüge durch Beobachtung menschlicher Go-Partien selbst erschlossen. Niemand hat das System traniert - es hat sich selbst optimiert, indem es mehrere Millionen Go-Partien gegen sich selbst spielte. Niemand weiß, warum AlphaGo einen bestimmten Zug macht, und die eigenen Entwickler waren überrascht, dass die Maschine gegen Lee Sedol gewonnen hat. AlphaGo ist also eindeutig in der Lage, selbst zu lernen und sich selbstständig weiterzuentwickeln. Das Einzige, was es von einer universalen, "starken" Künstlichen Intelligenz unterscheidet, ist, dass sich sein Wissen auf das Spiel Go beschränkt. Doch dieselbe Technologie kann auch für ganz andere Aufgaben eingesetzt werden und wird das auch, zum Beispiel für die Bilderkennung, die Fahrzeugsteuerung oder die medizinische Diagnose. Ein interessantes Video dazu: https://www.youtube.com/watch?v=TnUYcTuZJpM